Artikel 9 VO (EU) 2021/23

Sanierungspläne

(1) Von den CCPs wird ein Sanierungsplan erstellt und laufend aktualisiert, in dem dargelegt wird, mit welchen Maßnahmen sowohl bei Ausfall- als auch bei Nichtausfallereignissen sowie bei einer Kombination beider Ereignisse im Fall einer erheblichen Verschlechterung ihrer Finanzlage oder einer drohenden Verletzung der Eigenkapitalanforderungen und aufsichtsrechtlichen Anforderungen der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 ihre finanzielle Solidität ohne außergewöhnliche finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln wiederhergestellt werden soll und ihnen die Fortführung kritischer Funktionen ermöglicht werden soll.

(2) Die im Sanierungsplan enthaltenen Maßnahmen

a)
gehen alle in den verschiedenen Szenarien ermittelten Risiken, einschließlich möglicher ungedeckter Liquiditätsdefizite, umfassend und wirksam an;
b)
gewährleisten im Fall von Verlusten aufgrund eines Ausfallereignisses die Wiederherstellung eines „Matched Book” und die vollständige Zuweisung ungedeckter Verluste an Clearingmitglieder und deren Kunden, sofern diese Kunden unmittelbare Gläubiger der CCP sind, sowie an Anteilseigner, wobei die Interessen aller Beteiligten zu berücksichtigen sind;
c)
umfassen Vorkehrungen zur Verlustabsorption, die geeignet sind, die Verluste zu decken, die sich aus allen Arten von Nichtausfallereignissen ergeben könnten; und
d)
ermöglichen die Wiederauffüllung der Finanzmittel der CCP, einschließlich ihrer Eigenmittel, in ausreichendem Maße, damit die CCP ihren Pflichten gemäß der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 nachkommen kann und der kontinuierliche und planmäßige Betrieb der kritischen Funktionen der CCP unterstützt wird.

(3) Der Sanierungsplan enthält ein Rahmenwerk von auf dem Risikoprofil der CCP basierenden Indikatoren zur Bestimmung der Umstände, unter denen die im Sanierungsplan vorgesehenen Maßnahmen zu treffen sind. Die Indikatoren können entweder einen qualitativen oder einen quantitativen Bezug zur finanziellen Solidität und operativen Tragfähigkeit der CCP aufweisen und sollten es ermöglichen, rechtzeitig Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen, damit genügend Zeit für die Durchführung des Plans bleibt.

(4) Die CCPs führen geeignete Regelungen für die regelmäßige Überwachung der in Absatz 3 genannten Indikatoren ein. Die CCPs erstatten ihren zuständigen Behörden über die Ergebnisse dieser Überwachung Bericht. Die zuständigen Behörden übermitteln dem Aufsichtskollegium Informationen, die sie für bedeutsam erachten.

(5) Die ESMA gibt in Zusammenarbeit mit dem ESRB bis zum 12. Februar 2022 Leitlinien gemäß Artikel 16 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 heraus, um die Liste der mindestens erforderlichen qualitativen und quantitativen Indikatoren nach Absatz 3 des vorliegenden Artikels festzulegen.

(6) Die CCPs nehmen in ihre Betriebsvorschriften Bestimmungen auf, in denen die von ihnen einzuhaltenden Verfahren dargelegt sind für den Fall, dass sie zur Verwirklichung der Ziele des Sanierungsverfahrens vorschlagen,

a)
die in ihrem Sanierungsplan vorgesehenen Maßnahmen zu treffen, obwohl die einschlägigen Indikatoren nicht erreicht sind, oder
b)
die in ihrem Sanierungsplan vorgesehenen Maßnahmen nicht zu treffen, obwohl die einschlägigen Indikatoren erreicht sind.

Jede Entscheidung nach diesem Absatz und deren Begründung werden der zuständigen Behörde unverzüglich mitgeteilt.

(7) Beabsichtigt eine CCP, ihren Sanierungsplan zu aktivieren, so teilt sie der zuständigen Behörde die Art und die Größenordnung der von ihr festgestellten Probleme mit, wobei sie alle relevanten Umstände darlegt und angibt, mit welchen Sanierungsmaßnahmen oder sonstigen Maßnahmen sie Abhilfe schaffen will und welcher Zeitraum für die Wiederherstellung ihrer finanziellen Solidität durch diese Maßnahmen vorgesehen ist.

Ist die zuständige Behörde der Auffassung, dass eine von der CCP geplante Sanierungsmaßnahme eine erhebliche Beeinträchtigung des Finanzsystems nach sich ziehen könnte oder wahrscheinlich unwirksam ist, so kann sie verlangen, dass die CCP von der betreffenden Maßnahme absieht.

Nach Eingang der Mitteilung gemäß Absatz 6 Unterabsatz 2 des vorliegenden Artikels prüft die zuständige Behörde unverzüglich, ob die Umstände den Rückgriff auf Frühinterventionsbefugnisse gemäß Artikel 18 erfordern.

(8) Die zuständige Behörde unterrichtet die Abwicklungsbehörde und das Aufsichtskollegium umgehend und die Abwicklungsbehörde unterrichtet das Abwicklungskollegium umgehend über jede erhaltene Mitteilung nach Absatz 6 Unterabsatz 2 und nach Absatz 7 Unterabsatz 1 und über jede anschließende Anweisung der zuständigen Behörde nach Absatz 7 Unterabsatz 2.

Wird die zuständige Behörde gemäß Absatz 47 Unterabsatz 1 des vorliegenden Artikels unterrichtet, so beschränkt oder untersagt sie die etwaige Vergütung für Eigenkapital und Instrumente, die als Eigenkapital behandelt werden, einschließlich Dividendenzahlungen und Rückkäufen durch die CCP, so weit dies möglich ist, ohne dass ein Ausfallereignis ausgelöst wird, und sie kann Zahlungen für variable Vergütungen im Sinne der Vergütungspolitik der CCP nach Artikel 26 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, freiwillige Rentenleistungen oder Abfindungen, die für die Geschäftsleitung im Sinne von Artikel 2 Nummer 29 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 bestimmt sind, beschränken oder untersagen.

(9) Die CCPs überprüfen und erproben ihre Sanierungspläne mindestens einmal jährlich und in jedem Fall nach einer Veränderung ihrer Rechts- oder Organisationsstruktur oder ihrer Geschäftstätigkeit oder Finanzlage, die sich wesentlich auf diese Pläne auswirken oder anderweitig eine Änderung der Pläne erforderlich machen könnte, und aktualisieren die Pläne gegebenenfalls. Die zuständigen Behörden können von CCPs verlangen, dass sie ihre Sanierungspläne häufiger aktualisieren.

(10) Die Sanierungspläne werden gemäß Abschnitt A des Anhangs erstellt und berücksichtigen alle relevanten gegenseitigen Abhängigkeiten innerhalb der Gruppe, der die CCP angehört. Die zuständigen Behörden können von CCPs verlangen, dass sie zusätzliche Informationen in ihre Sanierungspläne aufnehmen. Gegebenenfalls konsultiert die zuständige Behörde der CCP die zuständige Behörde des Mutterunternehmens der CCP.

(11) Für die Sanierungspläne gelten folgende Bestimmungen:

a)
Es darf nicht vom Zugang zu oder Erhalt einer außerordentlichen finanziellen Unterstützung aus öffentlichen Mitteln, einer etwaigen Notfallliquiditätshilfe der Zentralbank oder einer Liquiditätshilfe der Zentralbank ausgegangen werden, die auf der Grundlage nicht standardisierter Bedingungen in Bezug auf Besicherung, Laufzeit und Zinssätze gewährt wird;
b)
die Interessen aller Beteiligten, die von dem Plan betroffen sein dürften, einschließlich der Clearingmitglieder und — soweit entsprechende Informationen verfügbar sind — ihrer direkten und indirekten Kunden, sind zu berücksichtigen; und
c)
es ist sicherzustellen, dass die Clearingmitglieder gegenüber der CCP nicht unbegrenzte Risikopositionen aufweisen und dass potenzielle Verluste und Liquiditätsdefizite der Interessenträger transparent, messbar, handhabbar und kontrollierbar sind.

(12) Die ESMA gibt in Zusammenarbeit mit dem ESRB bis zum 12. Februar 2022 Leitlinien gemäß Artikel 16 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 heraus, in denen die verschiedenen Szenarien präzisiert werden, die für die Zwecke von Absatz 1 des vorliegenden Artikels zu berücksichtigen sind. Bei der Herausgabe dieser Leitlinien berücksichtigt die ESMA gegebenenfalls aufsichtsrechtliche Stresstests.

(13) Gehört die CCP einer Gruppe an und sind vertragliche Vereinbarungen über die Unterstützung durch das Mutterunternehmen oder die Gruppe Bestandteil des Sanierungsplans, so sind in dem Sanierungsplan Szenarien zu untersuchen, in denen diese Vereinbarungen nicht erfüllt werden können.

(14) Nach einem Ausfall- oder einem Nichtausfallereignis setzt eine CCP einen zusätzlichen Betrag ihrer vorfinanzierten zugeordneten Eigenmittel ein, bevor sie die in Abschnitt A Nummer 15 des Anhangs der vorliegenden Verordnung genannten Regelungen und Maßnahmen in Anspruch nimmt. Dieser Betrag darf nicht weniger als 10 % und nicht mehr als 25 % der gemäß Artikel 16 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 berechneten risikobasierten Eigenkapitalanforderungen betragen.

Um dieser Anforderung nachzukommen, können die CCPs den Eigenkapitalbetrag verwenden, den sie zusätzlich zu ihren Mindesteigenkapitalanforderungen halten, um die Meldeschwelle gemäß dem auf der Grundlage von Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 erlassenen delegierten Rechtsakt einzuhalten.

(15) Die ESMA arbeitet in enger Zusammenarbeit mit der EBA und nach Konsultation des ESZB Entwürfe technischer Regulierungsstandards aus, in denen die Methode zur Berechnung und Beibehaltung des zusätzlichen Betrags an vorfinanzierten zugeordneten Eigenmitteln, der gemäß Absatz 14 einzusetzen ist, festgelegt wird. Bei der Ausarbeitung dieser technischen Standards berücksichtigt die ESMA alle folgenden Aspekte:

a)
die Struktur und die interne Organisation der CCPs sowie die Art, den Umfang und die Komplexität ihrer Tätigkeiten;
b)
die Struktur der Anreize für die Anteilseigner, die Führungskräfte sowie die Clearingmitglieder und die Kunden der Clearingmitglieder;
c)
die Angemessenheit für CCPs — in Abhängigkeit von den Währungen, auf die die von ihnen geclearten Finanzinstrumente lauten, den als Sicherheit akzeptierten Währungen und dem Risiko, das sich aus ihren Tätigkeiten ergibt, insbesondere wenn sie keine OTC-Derivate im Sinne von Artikel 2 Nummer 7 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 clearen —, diesen zusätzlichen Betrag an zugeordneten Eigenmitteln in anderen als den in Artikel 47 Absatz 1 der genannten Verordnung aufgeführten Vermögenswerten anzulegen; und
d)
die für Drittland-CCPs geltenden Vorschriften und deren Praktiken sowie die internationalen Entwicklungen bei der Sanierung und Abwicklung von CCPs, um die Wettbewerbsfähigkeit international tätiger CCPs in der Union und die Wettbewerbsfähigkeit CCPs in der Union gegenüber Drittland-CCPs, die Clearingdienste in der Union erbringen, zu erhalten.

Gelangt die ESMA auf der Grundlage der in Unterabsatz 1 Buchstabe c genannten Kriterien zu dem Schluss, dass es für bestimmte CCPs angemessen ist, diesen zusätzlichen Betrag an vorfinanzierten zugeordneten Eigenmitteln in anderen als den in Artikel 47 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 genannten Vermögenswerten anzulegen, so legt sie auch Folgendes fest:

a)
das Verfahren, nach dem CCPs im Fall, dass diese Mittel nicht unmittelbar zur Verfügung stehen, auf Sanierungsmaßnahmen zurückgreifen können, die den finanziellen Beitrag nicht ausfallender Clearingmitglieder erfordern;
b)
das Verfahren, nach dem CCPs den unter Buchstabe a genannten nicht ausfallenden Clearingmitgliedern den gemäß Absatz 14 des vorliegenden Artikels einzusetzenden Betrag anschließend erstatten müssen.

Die ESMA übermittelt der Kommission den Entwurf technischer Regulierungsstandards gemäß Unterabsatz 1 bis zum 12. Februar 2022.

Der Kommission wird die Befugnis übertragen, diese Verordnung durch Erlass der in Unterabsatz 1 dieses Absatzes genannten technischen Regulierungsstandards gemäß den Artikeln 10 bis 14 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 zu ergänzen.

(16) Die CCP entwickelt geeignete Mechanismen, um verbundene FMI und Interessenträger, die im Fall einer Durchführung des Sanierungsplans Verluste und Kosten tragen oder zum Ausgleich von Liquiditätsdefiziten beitragen würden, in die Erstellung dieses Plans einzubinden.

(17) Das Leitungsorgan der CCP prüft den Sanierungsplan unter Berücksichtigung der Beratung durch den Risikoausschuss gemäß Artikel 28 Absatz 3 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 und billigt ihn, bevor es ihn der zuständigen Behörde übermittelt.

(18) Beschließt das Leitungsorgan der CCP, den Empfehlungen des Risikoausschusses nicht zu folgen, so unterrichtet es die zuständige Behörde gemäß Artikel 28 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 unverzüglich und legt seine Entscheidung der zuständigen Behörde ausführlich dar.

(19) Die Sanierungspläne sind in die Unternehmensverfassung und in den allgemeinen Rahmen für das Risikomanagement der CCP zu integrieren.

(20) Die in den Sanierungsplänen vorgesehenen Maßnahmen, die finanzielle oder vertragliche Verpflichtungen für Clearingmitglieder und gegebenenfalls Kunden und indirekte Kunden, verbundene FMI oder Handelsplätze begründen, müssen Teil der Betriebsvorschriften der CCP sein.

(21) CCPs stellen sicher, dass die in den Sanierungsplänen vorgesehenen Maßnahmen in allen Rechtsräumen, in denen die Clearingmitglieder, verbundenen FMI oder Handelsplätze ansässig sind, jederzeit durchsetzbar sind.

(22) Die Verpflichtung der CCPs, in ihre Sanierungspläne das Recht aufzunehmen, einen Sanierungsbarmittelabruf vorzunehmen und gegebenenfalls den Wert etwaiger von der CCP an nicht ausfallende Clearingmitglieder auszuzahlender Gewinne herabzusetzen, gilt nicht für die in Artikel 1 Absätze 4 und 5 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 genannten Einrichtungen.

(23) Die Clearingmitglieder teilen ihren Kunden in klarer und transparenter Weise mit, ob und auf welche Weise sich im Sanierungsplan der CCP vorgesehene Maßnahmen auf sie auswirken können.

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